Hendrik Süß
Hendrik Suess
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Since September 2021 I am part of the Algebra Group at the Department of Mathematics at the Friedrich-Schiller-Universität Jena.

Previously I have been a lecturer at the School of Mathematics at The University of Manchester, a Seggie Brown research fellow at the University of Edinburgh and a research fellow of the Alexander von Humboldt Foundation at Moscow State University.

I completed my PhD in 2011 at the BTU Cottbus, Germany.


Gaza: Wegschauen ist keine Option / Gaza: Don’t look away

Seit über einem Jahr dauert das massenhafte Töten in Gaza bereits an – mit mindestens 43.000 Opfern direkter Gewaltanwendung1 die überwältigende Mehrzahl davon Zivilist*innen2. Realistische Schätzungen gehen aber von einem Vielfachen dieser Zahl an Todesopfern aus3. Nach dem Massaker der Hamas vom 7. Oktober mit mehr als 1.200 israelischen Opfern hatte eine Vielzahl von genozidalen Äußerungen von israelischen Regierungsmitgliedern und Medienvertreter*innen bereits das Schlimmste für die israelische Reaktion befürchten lassen4. Diese Befürchtungen haben sich inzwischen mit gut dokumentierten schwersten Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit der israelischen Streitkräfte mehr als bestätigt. UN-Untersuchungen und der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs5 6 7 sprechen unter anderem vom Aushungern als Kriegswaffe, sexueller Gewalt, Folter sowie vorsätzlicher Tötung und Ausrottung. Der Internationale Gerichtshof sah bei seiner Anordnung vorläufiger Maßnahmen bereits im Januar 2024 die Gefahr eines Genozids als gegeben an8. Obwohl umstritten ist, ob dieser Begriff auf das Geschehen in Gaza Anwendung findet9 10 11 12 13, wird diese Einordnung von einer wachsenden Anzahl von Experten vertreten.13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33

Die deutsche Regierung hält sich bis heute mit direkter Kritik an dieser massenmörderischen Praxis weitgehend zurück. Stattdessen wurden und werden die Kriegsverbrechen in Gaza durch Waffenlieferungen34 35 sowie diplomatische und juristische Rückendeckung36 37 unterstützt.

Umso wichtiger sind Stimmen aus der Zivilgesellschaft, die diese Tatsachen benennen und Druck für einen Kurswechsel auf die Bundesregierung ausüben. Leider versagen hier fast alle akademischen (und nicht-akademischen) Institutionen und Organisationen in Deutschland. Es drängt sich der Eindruck auf, dass man sich im Wegschauen, Verschweigen und Herunterspielen übt, um sich dieses als kontrovers geltenden Thema so weit wie möglich vom Hals zu halten. Dabei hatten wir doch alle gehofft, dass dies im 21. Jahrhundert keine akzeptable Option angesichts massenmörderischer Politik mehr sein kann.

Es ist absolut unverständlich, dass sich kaum eine akademische oder bildungspolitische Institution in Deutschland findet, die sich kritisch zu der nahezu vollständigen Zerstörung des Bildungssystems in Gaza äußert – UN-Expert*innen sprechen von einem Scholastizid38. Diese Angriffe auf das Bildungssystem beinhalten dabei die gezielte Sprengung von Universitäten39, die massenhafte Bombardierung von Schulen, die oft als Zufluchtsorte für Zivilist*innen dienten, und deren Nutzung als Militärlager durch die israelischen Streitkräfte40 und natürlich den massenhaften Tod von Wissenschaftler*innen, Lehrer*innen, Schüler*innen und Studierenden.

Das Wegducken vor einer eindeutigen Positionierung gegen Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und einen mutmaßlichen Völkermord in Gaza ist zutiefst enttäuschend. Noch erschreckender ist jedoch die unterschiedliche Gewichtung israelischen und palästinensischen Lebens, die sich durch die gesamte deutsche Debatte zieht. Nach dem 7. Oktober haben viele akademische Institutionen zu Recht das Massaker der Hamas mit mehr als 1.200 Toten und 250 verschleppten Geiseln schärfstens verurteilt.41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60 Das nun schon seit einem Jahr andauernde Massaker an Palästinenser*innen in Gaza mit weit über 43.000 Toten wurde von keiner einzigen dieser Institutionen auch nur als solches benannt. Der massenhafte Tod von Palästinenser*innen wird manchmal bedauert, aber nie mit gleicher Vehemenz verurteilt und sehr selten werden die israelischen Streitkräfte als Täter überhaupt benannt.61 62 63 64 Oft wird Israels Recht auf Selbstverteidigung65 zitiert und dabei suggeriert, dass das verheerende Vorgehen der israelischen Streitkräfte notwendig sei, um die israelische Zivilbevölkerung zu schützen. Eine Handlung, die mehr unschuldige Menschenleben kostet als das Unterlassen derselben Handlung, lässt sich jedoch nicht als legitime Selbstverteidigung werten66. Allein die Anzahl der in Gaza getöteten Frauen und Kinder übersteigt die Gesamtzahl der Todesopfer der letzten 150 Jahre auf der israelischen Seite des Konfliktes3 67. Wer palästinensischem Leben also den gleichen Wert zumisst wie israelischem, kann das in Gaza stattfindende Gemetzel kaum als »Selbstverteidigung« rechtfertigen.

Eine ernsthafte Positionierung zu der menschengemachten Katastrophe in Gaza sollte über gut gemeinte, aber letztlich hilflose Betroffenheitsbekundungen hinausgehen. Sie sollte alle Kriegsverbrechen verurteilen und die Täter beim Namen nennen. Sie sollte die mit universellen Menschenrechten unvereinbare Haltung der eigenen Regierungen kritisieren und die deutsche und europäische Politik auffordern, alles dafür zu tun, den Massenmord in Gaza und dessen Ausweitung auf den Libanon sofort zu stoppen und die Rückkehr aller Geiseln zu ermöglichen. Dazu gehört in erster Linie ein Ende der Lieferung von Waffen und militärischen Gütern – ein Schritt, den die Bundesregierung weiterhin ablehnt68 35 – sowie der Einsatz ernsthafter diplomatischer und wirtschaftlicher Druckmittel gegenüber der israelischen Regierung.

  1. https://www.ochaopt.org/content/reported-impact-snapshot-gaza-strip-29-october-2024 

  2. https://aoav.org.uk/2024/casualties-in-gaza-israels-claims-of-50-combatant-deaths-dont-add-up-at-least-74-of-the-dead-are-civilians/ 

  3. https://www.gazahealthcareletters.org/usa-letter-oct-2-2024 und https://www.gazahealthcareletters.org/s/Appendix-20241002.pdf  2

  4. https://twailr.com/public-statement-scholars-warn-of-potential-genocide-in-gaza/ 

  5. https://www.ohchr.org/en/press-releases/2024/06/israeli-authorities-palestinian-armed-groups-are-responsible-war-crimes 

  6. https://www.icc-cpi.int/news/statement-icc-prosecutor-karim-aa-khan-kc-applications-arrest-warrants-situation-state 

  7. https://www.ohchr.org/en/press-releases/2024/10/un-commission-finds-war-crimes-and-crimes-against-humanity-israeli-attacks 

  8. https://www.icj-cij.org/sites/default/files/case-related/192/192-20240126-ord-01-00-en.pdf insbesondere Absätze 54 und 74 

  9. Sabine Swoboda: https://news.rub.de/english/2024-07-04-interview-term-genocide-has-become-burden-lawyers 

  10. Daniel-Erasmus Khan: https://www.swr.de/swrkultur/wissen/240311-vorwurf-voelkermord-neu-100.pdf 

  11. Stefan Talbot: https://archive.is/aWA5v 

  12. ICCForum: https://iccforum.com/israel-and-hamas 

  13. Ernesto Verdeja, Michael Becker: https://www.vox.com/politics/378913/israel-gaza-genocide-icj  2

  14. Raz Segal: https://jewishcurrents.org/a-textbook-case-of-genocide 

  15. Martin Shaw: https://www.tandfonline.com/doi/pdf/10.1080/14623528.2023.2300555 

  16. Omer Bartov: https://www.srf.ch/news/international/nahost/vorwurf-des-genozids-israel-will-gazastreifen-fuer-palaestinenser-unbewohnbar-machen 

  17. John Cox: https://iccforum.com/israel-and-hamas#Cox 

  18. Amos Goldberg: https://thepalestineproject.medium.com/yes-it-is-genocide-634a07ea27d4 

  19. Lee Mordechai: https://drive.google.com/file/d/1nSA2RoK7XxC_fcN_j3yzabIC0nd1yihH/view 

  20. Joint statement: https://contendingmodernities.nd.edu/global-currents/statement-of-scholars-7-october/ 

  21. Lemkin Institute: https://www.lemkininstitute.com/statements-new-page/statement-on-why-we-call-the-israeli-attack-on-gaza-genocide 

  22. Abdelwahab El-Affendi: https://www.tandfonline.com/doi/full/10.1080/14623528.2024.2305525 

  23. Uğur Ümit Üngör: https://www.tandfonline.com/doi/full/10.1080/14623528.2024.2309709 

  24. University Network for Human Rights: https://www.humanrightsnetwork.org/genocide-in-gaza 

  25. Elyse Semerdjian: https://www.tandfonline.com/doi/full/10.1080/14623528.2024.2306714 

  26. Barry Trachtenberg: https://www.newyorker.com/news/our-columnists/the-limits-of-accusing-israel-of-genocide-under-international-law 

  27. Susan Akram: https://www.bu.edu/articles/2024/is-israel-committing-genocide-in-gaza/ 

  28. Victoria Sanford: https://time.com/6334409/is-whats-happening-gaza-genocide-experts/ 

  29. Shmuel Lederman: https://www.tandfonline.com/doi/full/10.1080/14623528.2024.2309706 

  30. Mark Levene: https://www.tandfonline.com/doi/full/10.1080/14623528.2024.2301866 

  31. Aryeh Neyer https://archive.is/jXnL8 

  32. William Schabas: https://www.cbc.ca/radio/ideas/genocide-convention-william-schabas-1.7249721 

  33. Nimer Sultany: https://www.tandfonline.com/doi/full/10.1080/14623528.2024.2351261 

  34. https://content.forensic-architecture.org/wp-content/uploads/2023/04/Forensis-Report-German-Arms-Exports-to-Israel-2003-2023.pdf 

  35. https://www.deutschlandfunk.de/deutschland-weitet-ruestungsexporte-an-israel-deutlich-aus-104.html  2

  36. https://gpil.jura.uni-bonn.de/2024/01/germany-rushes-to-declare-intention-to-intervene-in-the-genocide-case-brought-by-south-africa-against-israel-before-the-international-court-of-justice/ 

  37. https://www.tagesschau.de/ausland/europa/un-menschenrechtsrat-waffen-israel-100.html 

  38. https://www.ohchr.org/en/press-releases/2024/04/un-experts-deeply-concerned-over-scholasticide-gaza 

  39. https://www.nytimes.com/live/2024/01/22/world/israel-hamas-gaza-news?smid=url-share#israels-military-says-it-will-review-its-demolition-of-a-university-building-in-gaza 

  40. https://news.un.org/en/story/2024/03/1148031 

  41. http://www.allianz-der-wissenschaftsorganisationen.de/wp-content/uploads/2023/10/200231012_Allianz-Stellungnahme_Israel_fin-1.pdf 

  42. https://www.hu-berlin.de/de/pr/nachrichten/oktober-2023/nr-231012-1 

  43. https://www.fu-berlin.de/en/international/profile/university-culture-and-global-commitment/nahostkonflikt/index.html 

  44. https://www.uni-bonn.de/de/neues/171-2023 

  45. https://www.fernuni-hagen.de/universitaet/aktuelles/2023/10/am-fernuni-verurteilt-terroristischen-angriff-auf-israel.shtml 

  46. https://www.uni-bremen.de/universitaet/hochschulkommunikation-und-marketing/web-news/detailansicht/solidaritaet-mit-israel-universitaet-bremen-schliesst-sich-der-stellungnahme-des-daad-an 

  47. https://www.tu-clausthal.de/universitaet/einrichtungen/presse-und-oeffentlichkeitsarbeit/pressemitteilungen/artikel/solidaritaet-mit-israel 

  48. https://www.daad.de/de/der-daad/kommunikation-publikationen/presse/pressemitteilungen/daad-verurteilt-terror-gegen-israel_2023/ 

  49. https://www.frankfurt-university.de/de/newsmodule/details/stellungnahme-der-hochschulleitung-zum-terroristischen-angriff-auf-israel/ 

  50. https://www.gew.de/aktuelles/detailseite/solidaritaet-mit-der-israelischen-bevoelkerung-und-humanitaere-unterstuetzung-fuer-gaza 

  51. https://www.uni-goettingen.de/de/3240.html?id=7230 

  52. https://www.uni-jena.de/208945/stellungnahme-des-praesidenten 

  53. https://www.uni-kassel.de/uni/aktuelles/sitemap-detail-news/2023/10/9/stellungnahme-zum-angriff-auf-israel?cHash=b4fc08108f9b404dd8b3917521f17fc8 

  54. https://www.uni-marburg.de/de/aktuelles/news/2023/gemeinsames-statement-von-universitaet-und-stadt-marburg 

  55. https://www.mpg.de/21772804/20240321-rede-patrick-cramer-betriebsraeteversammlung.pdf 

  56. https://www.uni-muenster.de/news/view.php?cmdid=13616 

  57. https://www.uni-potsdam.de/de/medieninformationen/detail/2023-10-09-universitaet-potsdam-verurteilt-angriff-auf-israel 

  58. https://www.uni-wuerzburg.de/aktuelles/pressemitteilungen/single/news/in-gedanken-bei-israel/ 

  59. https://news.rub.de/vermischtes/2023-10-12-israel-ruhr-universitaet-verurteilt-terrorangriffe-der-hamas 

  60. https://www.uni-siegen.de/start/news/oeffentlichkeit/1020938.html 

  61. https://www.uni-bremen.de/universitaet/hochschulkommunikation-und-marketing/aktuelle-meldungen/detailansicht/universitaetsleitung-zu-den-forderungen-des-protestcamps 

  62. https://www.daad.de/de/der-daad/daad-journal/themen/2024/bildungschancen-fuer-palaestina/ 

  63. https://www.uni-kassel.de/uni/aktuelles/sitemap-detail-news/2024/10/1/zum-jahrestag-des-ueberfalls-der-hamas-auf-israel?cHash=6e703a75dac91386eab8ad03a4821e58 

  64. https://www.gew.de/aktuelles/detailseite/gew-unterstuetzt-forderung-nach-waffenstillstand 

  65. Ich beziehe mich hier nur auf das moralische Recht zur Selbstverteidigung bzw. die Pflicht zum Schutz seiner Bürger*innen. Ob Israel in diesem Fall im Sinne von Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationen ein Recht auf Selbstverteidigung hat ist völkerechtlich umstritten, siehe z.B. https://www.ejiltalk.org/does-israel-have-the-right-to-defend-itself/ 

  66. https://www.justsecurity.org/89960/enough-self-defense-and-proportionality-in-the-israel-hamas-conflict/ 

  67. https://www.gov.il/en/pages/memorial-day-for-the-fallen-soldiers-and-victims-of-terrorism-2024 

  68. https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/deutschland-israel-waffenexporte-100.html 

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